Ich wurde vor kurzem gefragt, wie eigentlich die digitale Transformation gemessen werden kann. Meine innere Stimme sagte mir zuerst instinktiv: «Wer misst misst Mist» – schliesslich ist die digitale Transformation zu komplex, als dass ein paar KPI aufzeigen könnten, ob der organisationale Wandel am gelingen ist. Doch dieser Reflex wird dem Problem nicht gerecht. Das Messen und Identifizieren des Fortschrittes ist nicht nur für Controller wichtig, es hilft auch zur Orientierung und Motivation. Nur gibt es halt ein paar Fallgruben, die es zu umschiffen gilt.
Es braucht Wirkungsziele, nicht Verhaltensziele
Einer der grössten Fehler – und ich benenne es bewusst so kategorisch – ist das Formulieren von Verhaltenszielen. Diese entmündigen die handelnden Menschen und führen leicht und oft zu Verhaltensweisen, die gar nicht intendiert sind. Entweder sind Verhaltensziele eine gutgemeinte, aber trivialisierte Orientierung für die Mitarbeitenden. Oder sie entstammen noch dem tayloristischen Paradigma, bei dem der Mensch zur ausführenden Maschine reduziert wird. So oder so werden mit Verhaltenszielen nicht jene Dinge gemessen, die erzielt werden sollen, sondern nur Hebel, welche einen hypothetischen Einfluss auf unser Wirkungsziel haben. Ein Beispiel: «Beratene Kunden pro Minute» ist ein Verhaltensziel; «Kundenzufriedenheit» ein Wirkungsziel. Ersteres ist zwar einfacher zu messen und zu beeinflussen. Nur wenn dieses dann dazu führt, dass die Mitarbeitenden die Beratungsgespräche zu früh abbrechen oder auf Kunden zugehen, die keine Beratung wollen, dann führte das Verhaltensziel kaum zur gewünschten Wirkung.
Es existieren verschiedene Messinstrumente zur digitalen Transformation
Nichtsdestotrotz ist es völlig legitim wissen zu wollen, wie «gut» die digitale Transformation bewältigt wird. Verschiedene Beratungsfirmen haben hierzu bereits ein Assessment zum Reifegrad entwickelt:
- PwC: Digital Fitness App
- Deloitte: Digital DNA
- Capgemini: Digital Culture Assessment
- Valion: Digitale Reifegradbeurteilung
- Salesforce: Online Assessment Digitaler Reifegrad für KMU
Im Kern meint digitale Transformation, die Kundenbedürfnisse besser und/oder günstiger zu befriedigen
Eine erfolgreiche digitale Transformation heisst im Kern, dass ein Unternehmen mit den (neuen) zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Kundenbedürfnisse besser und/oder günstiger befriedigt. Die oben erwähnten Instrumente fokussieren allerdings vor allem den Reifegrad einer Organisation. Dieser kann einen Hinweis auf mögliche Problemstellungen oder Handlungsbedarfe geben. Aber ein (Kunden-) Problem ist damit noch nicht gelöst. Es besteht bei diesen Instrumenten also eine gewisse Gefahr, dass Projekte initiiert werden, die eher auf den Testwert einzahlen und dabei nicht zwingend zur Lösung von (Kunden-) Problemen beitragen.
Im Fokus der Messung sollte die Lösung von (Kunden-)Problemen stehen
Die Frage ist also, wie wird diese bessere und/oder günstigere Kundenbefriedigung bzw. der Weg dahin gemessen? In den meisten Fällen sind dazu Innovationen nötig. Und wie solche gemessen werden können, wurde auch schon in verschiedenen Quellen beschrieben. Hier findet sich eine schöne Übersicht dazu, indem relativ umfassende Ideen für wirkungsvolle KPIs aufgezeigt werden.
Ein Vorgehensvorschlag zur Messung der digitalen Transformation
Mit dieser kurzen Einführung zur Messung der digitalen Transformation versuche ich mich an einem Vorgehensvorschlag. Dabei ist es mir vor allem wichtig auf jene Dinge einzugehen, die sich von einem klassischen Vorgehen unterscheiden.
Wie bei der Lösung von komplexen Problemen Standard, sollte iterativ vorgegangen werden. Wichtige Schritte in diesem zirkulären Vorgehen sind:
1. Fokus wählen
Die digitale Transformation betrifft nicht jede Organisation gleich. Und nicht jede Organisation braucht denselben Fokus. Bei einem Unternehmen muss das Geschäftsmodell überarbeitet werden, bei einem anderen die Kultur. Einen Anhaltspunkt für den «richtigen» Fokus können die oben erwähnten Reifegradmodelle darstellen. Kundenbefragungen oder Kundenbeobachtungen geben ebenfalls Aufschluss über den «richtigen» Fokus.
2. Probleme erkennen
Auf Basis des eruierten Fokus gilt es zu definieren, welche (Kunden-)Probleme darin gelöst werden müssen. Die Definition adäquater Probleme ist sehr anspruchsvoll. Allerdings gibt es mittlerweile in der Design Thinking Literatur zahlreiche Instrumente, um nachzuhelfen. Wichtig ist hier der Grundsatz, dass es sich um «wahre» Probleme handelt, deren Lösung die Organisation weiterbringt.
3. Wirkungsziele festlegen
Abgeleitet von den definierten Problemen gilt es nun wirkungsvolle Ziele festzulegen. Also nicht Inputfaktoren wie «zwei Projekte zur Förderung der Kundenberatung», sondern Wirkungsziele wie beispielsweise «Kundenzufriedenheit». Oben habe ich eine Übersicht zu möglichen Wirkungszielen bei Innovationsprojekten verlinkt. Diese kann als Inspiration dienen.
4. Probleme lösen
Anschliessend geht es darum, die definierten Probleme zu lösen und damit die festgelegten Wirkungsziele zu erreichen. Hierfür empfehle ich einen «Lean Design Sprint». Mit «Lean» meine ich das Vorgehen, das unter Schlagworten wie «Lean Startup» oder «Lean Change» bekannt geworden ist. Also iteratives Bauen, Messen und Lernen. Beim Messen helfen dann auch die definierten Wirkungsziele. Mit «Design Sprint» meine ich die Kombination von Design Thinking und Scrum. Denn oftmals rennen Wissensarbeiter von Sitzung zu Sitzung und bringen inhaltlich kaum etwas auf den Boden. So dauern Problemlösungen Monate, weil sich die Arbeitsgruppe alle paar Tage für einige wenige Stunden treffen kann. Eine tolle Inspiration, wie das anders (und besser) zu lösen ist, beschreibt Jake Knapp in seinem Buch «Sprint – Wie man in nur fünf Tagen neue Ideen testet und Probleme löst».
Wie integriere ich das in ein Dashboard?
Mindestens die Controller werden sich nun fragen, wie das Ganze in ein Dashboard integriert werden kann. Schliesslich ist damit keine ganzheitliche (und langfristige) Übersicht gewonnen. Auch der Unterschied zu einem Projektcontrolling ist nicht derart evident. Das stimmt. Eine Möglichkeit wäre, mehrere Fokusse gleichzeitig zu definieren und von dort aus dann den Zyklus mit verschiedenen Arbeitsgruppen parallel durchzuführen. Dann gäbe es pro Handlungsfokus mehrere KPI und der Controller hätte sein Dashboard und das Management seine ganzheitliche Übersicht.
Lieber auf ein Problem fokussieren und dieses zu Ende lösen
Der Nachteil bei diesem Vorgehen: Damit wird die Komplexität exponentiell erhöht. Arbeiten unterschiedliche Arbeitsgruppen an solch stark verbundenen Themen, dann ergeben sich zwangsläufig Schnittstellen. Die Abstimmung raubt viel Zeit und macht die Problemlösung langsam. Ein etwas bildhafter Vergleich: Wenn wir einen neuen Schuh im Geschäft anprobieren, dann nehmen wir uns auch nicht den linken und den rechten Schuh gleichzeitig vor und versuchen parallel mit der linken Hand den linken Schuh und mit der rechten Hand den rechten Schuh zuzubinden. Wir probieren den einen und schauen, ob die Grösse stimmt. Wenn er passt, dann nehmen wir noch den andern und überprüfen, ob wir darin bequem laufen können.
Ein Vorgehen Schritt für Schritt hilft uns also den Fokus zu wahren und unsere Ressourcen genau auf das zu fokussieren, das im Moment sinnvoll ist. Natürlich macht eine langfristige Vision Sinn, da sie Orientierung gibt. Aber das Runterbrechen einer Vision auf verschiedene Handlungsfelder oder gar Massnahmen ist eine Aktivität, die viel Zeit braucht. Zeit, die wir dafür investieren könnten, um Probleme zu lösen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich Handlungsschwerpunkte in der Zwischenzeit verändern, ist relativ hoch. Und dann wären wir froh gewesen, wir hätten die Zeit lieber für etwas genutzt, das auch Wirkung erzielt hat.