„Nichts ist so beständig wie der Wandel.“
Was Heraklit von Ephesus bereits rund 500 Jahre v. Chr. postulierte, hat heute noch Gültigkeit. Vielleicht ist diese Feststellung heute sogar zutreffender als damals. Nichtsdestotrotz fällt es dem Menschen noch immer schwer, sich auf Veränderungen einzustellen; geschweige denn, sich darüber zu freuen. Wandel bedeutet, dass Gewohnheiten aufgebrochen werden (müssen) und ist oft von der (berechtigten) Angst begleitet, Liebgewonnenes zu verlieren – sei es Macht, Status, Geld oder (soziale) Beziehungen. Hinzu kommt, dass in (wirtschaftlich) entwickelten Länder der Wohlstand und der ausgebaute Sozialstaat ein gewisses Sättigungsgefühl etablierten, wodurch Neues grundsätzlich eher kritisch betrachtet wird.
In der Wirtschaft ist diese Veränderungsaversion delikat. Nicht nur, weil nicht selten das Überleben eines Unternehmens und damit verbunden die Existenz von Familien von einer gelungenen Veränderung abhängen, sondern auch weil die Interessen der diversen Anspruchsgruppen eines Unternehmens zu- und untereinander konfligieren. Dadurch wird die Veränderungsaversion des Individuums zur Veränderungsresistenz der gesamten Organisation. Und da nichts so beständig ist wie der Wandel, bedroht diese Veränderungs-resistenz den nachhaltigen Erfolg einer Unternehmung. Dabei zeigen jüngste Beispiele wie Kodak, Nokia oder Blackberry, dass selbst namhafte und übermächtig scheinende Unternehmen keine Überlebensgarantie haben.
Wie können Unternehmen also diese Veränderungsresistenz angehen, damit die Zukunft trotz stetigem Wandel nachhaltig gesichert werden kann?
Problemursache: Veränderungsresistenz in einer dynamischen Welt
Wie erwähnt ist Veränderung für ein einzelnes Individuum tendenziell negativ konnotiert und deshalb grundsätzlich nichts Erstrebenswertes. Diese Einstellung verstärkt sich in einer betriebswirtschaftlichen Zusammenarbeit, da hier eine Vielzahl von veränderungs-aversen Anspruchsgruppen aufeinander treffen, die alle aus anderen Gründen Veränderungen nicht vorantreiben wollen oder können. Die Investoren beispielsweise scheuen möglicherweise das finanzielle Risiko; die Kunden haben Angst, auf liebgewonnene Produkte verzichten zu müssen; die Arbeitnehmer befürchten, ihre Stelle, ihre hierarchische Position oder ihren gewohnten Arbeitsalltag aufgeben bzw. verändern zu müssen und der Staat bzw. dessen politische Akteure müssen den demokratischen Entscheidungsprozess respektieren und fürchten dabei Machtverlust bei zu hoher Reformfreudigkeit.
Zusätzlich zur Veränderungsaversion des Individuums, die sich auf der Ebene der Organisation zur Veränderungsresistenz konglomeriert, ist in der heutigen Zeit auch eine zunehmende Dynamik festzustellen. Dies bedeutet, dass die notwendigen Veränderungsprozesse disruptiver und dadurch nicht selten schmerzvoller werden. Hauptursache für diese zunehmende Dynamik ist der technologische Fortschritt, wodurch sich die Veränderungen schneller und weitreichender verbreiten. Durch die moderne Technik hat nicht nur die ökonomische Globalisierung und Vernetzung rasant zugenommen, gesellschaftliche Werte und Gewohnheiten können durch die sozialen Medien digitalisiert und so in der ganzen Welt viral ausgebreitet werden.
Die moderne Technologisierung erhöht aber nicht nur die Dynamik der Veränderung, sie beeinflusst auch deren Ausprägung. So hängt die Wirtschaft insbesondere in den entwickelten Ländern immer stärker von sogenannten „Wissensarbeiter“ ab; nicht zuletzt weil die moderne Technologie neuartige Bedürfnisse schafft und so den Dienstleistungssektor durch neue Möglichkeiten beflügelt. Während aufstrebende Branchen wie E-Commerce, Facility Management oder andere „Convenience-Dienstleistungen“ in ent-wickelten Nationen ein starkes Wachstum verzeichnen, werden andere, physisch geprägte Wertschöpfungsschritte ins produktionsgünstige Ausland verlagert. Diese Tendenz, die einen spezifischen Wandel im betriebswirtschaftlichen Umfeld von Unternehmen in entwickelten Länder darstellt, erhöht gleichzeitig auch die generische Dynamik des ökonomischen Umfelds solcher Organisationen. Durch die Verkürzung der Veränderungszyklen reduziert sich zunehmend die Halbwertszeit des Wissens. Während physische Produktions-anlagen noch eine gewisse Beständigkeit und Markteintrittsbarrieren darstellen, unterliegt das immaterielle Wissen dem ständigen Wandel und der ubiquitären Konkurrenz. So ist beispielsweise das Produkt „Zement“ seit Jahrzehnten beinahe unveränderlich, die damit verbundenen immateriellen Handlungs-felder wie Serviceleistungen, Logistik-prozesse, Compliance oder Marketing haben sich jedoch immer wieder gewandelt. Insbesondere für Unternehmen, deren Wertschöpfung hauptsächlich durch „Wissens-arbeiter“ generiert wird, bedeutet dies also, dass die Akkumulation von Vorratswissen an Bedeutung verliert und die Dynamik des Wettbewerbs zunimmt.
Lösungsbasis: Erhöhung der Flexibilität von Individuum und Organisation
Die Eruierung der Problemursachen rückt zwei Aspekte ins Zentrum: Einerseits die Veränderungsaversion des Individuums bzw. die damit verbundene Veränderungsresistenz der Organisation und andererseits die zunehmende Dynamik des ökonomischen Umfeldes von Unternehmen. Vor diesem Hintergrund bieten sich folgende zwei Aspekte als Grundlage zur Problemlösung an:
Zum einen sollte die Flexibilität des Individuums erhöht werden. Hierfür braucht es eine Entwicklung in den Dimensionen Einstellung, Wissen und Fertigkeit. So muss das Individuum lernen, dass Veränderungen notwendig für den langfristigen Erfolg sind und deshalb grundsätzlich als positiv erachtet werden sollten (Einstellung). Zusätzlich sollten spezifische Kenntnisse gefördert werden, wie beispielsweise welche Implikationen mit Wandelprozessen einhergehen oder welche Handlungsdimensionen Veränderungen um-fassen (Wissen). Ebenfalls zentral ist die handlungsorientierte Sicht. Hierbei soll sich das Individuum die Fähigkeit aneignen, den Wandelprozess zu gestalten oder zumindest mitzutragen (Fertigkeit). Durch die Förderung dieser drei Dimensionen kann eine umfassende Kompetenz entwickelt werden, die es den Individuen erlaubt, konstruktiv mit Wandel umzugehen. Es scheint dabei evident, dass nicht alle Individuen eine gleichartige Förderung benötigen.
Zum anderen sollte die Flexibilität der Organisation erhöht werden. Dies bedeutet, dass das Unternehmen selbst ebenfalls lernen muss, Wandelprozesse zu initiieren und positiv zu gestalten. Es reicht nicht, wenn die einzelnen Individuen die Kompetenz zur Veränderung entwickeln. Für einen erfolgreichen Umgang mit Wandel muss vielmehr die Organisation als Ganzes dazu gebracht werden, sich zu verändern. Dabei scheint evident, dass nicht die Organisation per se etwas lernen kann, sondern nur deren menschliche Akteure. Während also die einzelnen Individuen spezifisch gefördert werden sollten, sich die notwendigen Fähigkeiten anzueignen, müssen zusätzlich Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit diese Kompetenzen der Individuen zielgerichtet konglomeriert und im Sinne einer dynamischen Organisation genutzt werden können.
Lösungsansatz: Das Unternehmen als lernende Organisation
Die erwähnten Lösungsgrundlagen können insofern zusammengeführt werden, als dass man eine „lernende Organisation“ zum Idealtypus eines veränderungsfähigen Unternehmens erklärt. Bei einer „lernenden Organisation“ sind die einzelnen Individuen dazu befähigt, selbständig zu lernen und dadurch Wandelprozesse positiv zu gestalten. Darüber hinaus ist die Organisation durch konsistente und adäquate Rahmen-bedingungen fähig, die (nun) veränderungsaffinen Individuen konstruktiv zu vereinen. Dabei liegt auch die Annahme zugrunde, dass die Kompetenz des Ganzen grösser ist als die Summe der Fähigkeiten der Einzelnen. Während diese Abstrahierung des Lösungsansatzes geradezu trivial erscheint, ist die Konkretisierung dessen ungleich komplexer. Vorliegend soll deshalb auch nicht eine allgemeingültige Vorgehensweise proklamiert werden. Vielmehr soll abschliessend eine mögliche Herangehensweise für die Planung konkreter Umsetzungs-massnahmen aufgezeigt werden.
Für die Befähigung des Individuums scheint es viabel, wenn die Erkenntnisse der Pädagogik und des Bildungsmanagements genutzt werden. So sollte die gewünschte Kompetenzentwicklung bereits in der obligatorischen Schulzeit thematisiert werden. Aufgrund der ohnehin bereits überfüllten Lehrpläne ist dieser Ansatz für die Praxis jedoch kaum ergiebig. Für Unternehmen scheint es deshalb zweckmässiger mit einem spezifischen Bildungsmanagement zumindest die Mitarbeitenden in der erwähnten „Veränderungskompetenz“ entsprechend aus- und weiterzubilden. Ein Vorteil dieser spezifischen Aus- und Weiterbildung ist, dass die Unternehmen die Kompetenz-entwicklung individuell gestalten können und so gleichzeitig eine Abstimmung innerhalb der Organisation möglich ist.
Für die Kompetenzentwicklung der Unternehmung ist die erwähne Erkenntnis essentiell, dass eine Organisation nicht selbst etwas lernen kann. Auf Stufe Organisation bietet sich deshalb vor allem an, dass adäquate Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen sich die einzelnen Individuen zielgerichtet entwickeln und verhalten können. Die Gestaltungsmöglichkeit dieser Rahmenbedingungen lassen sich auf drei Ebenen diskutieren: Auf der normativen Ebene gestaltet das Unternehmen die gewünschten Werte. Auf dieser abstrakten Ebene wird bestimmt, welche gemeinsamen Normen und Wertvorstellungen dem Handeln zugrunde gelegt werden sollen, um die Legitimität der Organisation zu sichern. Auf der zweiten Ebene definiert das Unternehmen, welche (strategischen) Handlungsfelder fokussiert werden sollen. Die Auswahl dieser Handlungsfelder erfolgt dabei unter Berücksichtigung der auf normativen Ebene determinierten und gestalteten Wertvorstellungen. Auf dieser strategischen Ebene steht die Effektivität im Zentrum (die „richtigen Dinge tun“). Auf der dritten Ebene sollen danach die gewählten Handlungsfelder möglichst effizient umgesetzt werden (die „Dinge richtig tun“). Zentral für diese operative Ebene sind eine zielgerichtete Struktur und eine kollektive Kultur, die ebenfalls in Abstimmung mit den bestimmten Werten und Normen gestaltet werden.
Fazit
Aufgrund der zunehmenden Dynamik im wirtschaftlichen Umfeld und der damit steigenden Bedeutung, Wandelprozesse zu initiieren und erfolgreich zu gestalten, kann die Vernachlässigung von Veränderungs-kompetenz das nachhaltige Überleben von Unternehmen gefährden. Diese Kompetenz ist jedoch nicht genuin vorhanden und die Menschen in (wirtschaftlich) entwickelten Länder haben sich in den letzten Jahren mehrheitlich sogar gegenteilig sozialisiert. Damit die (wissensintensive) Unternehmen langfristig erfolgreich sein können, bietet sich deshalb die Entwicklung zu einer sogenannten „lernenden Organisation“ an. Als „lernende Organisationen“ können in diesem Kontext Unternehmen bezeichnet werden, bei denen sich einerseits die Mitarbeitenden Veränderungskompetenzen aneignen und andererseits die Organisation als Ganzes die Kompetenz entwickelt, Wandelprozesse erfolgreich zu gestalten. Während dies auf Stufe Individuum insbesondere durch Aus- und Weiterbildung erreicht werden kann, scheint auf Stufe Unternehmung eine Gestaltung von günstigen Rahmenbedingungen auf normativer, strategischer und operativer Ebene viabel.